Digitale Identitäten – andere Länder andere Sitten
Die volle rechtliche Akzeptanz eines digitalen Ausweises in einem Land bedeutet leider noch lange nicht, dass dieser auch vollumfänglich in Deutschland seine Gültigkeit entfalten kann.
Ein praktisches Beispiel aus dem Alltag dazu: die folgende Situation trug sich in einem Bierzelt in Unterhaching nahe München zu.
Zwei 20jährige ukrainische Studentinnen, Yulia und Anhelina, sitzen mit anderen Studierenden am Biertisch. Pünktlich um 22:00 Uhr erscheint ein Security-Mann zur allgemeinen Ausweiskontrolle. Die jungen Damen zücken ihre Handys und zeigen – wie aus der Ukraine gewohnt – ihre biometrischen Reisepässe in der Diia App – und werden daraufhin des Zeltes verwiesen: Digitale Ausweise seien in deutschen Bierzelten nicht gültig. Innovatives Deutschland!
Leider erfolgte erste Verwunderung der ukrainischen Studentinnen bereits als Sie mitgeteilt bekamen, dass die Anmeldung Ihrer Personen nicht über eine digitale App machbar war, sondern dafür diverse Behördengänge notwendig sind. Und jetzt auch noch dieses Ereignis.
Nun wollten wir es genau wissen: Ist ein digitales Ausweisdokument – wie z. B. in der Ukraine, Estland und China längst Usus – in Deutschland faktisch gültig? Und wie steht es überhaupt mit elektronischen IDs in Deutschland und anderswo?
Das Auswärtige Amt antwortete prompt auf unsere Anfrage, ohne sie konkret zu beantworten: „Wie ausländische Staatsangehörige in Deutschland ihrer Ausweispflicht nachkommen müssen, ist in § 48 Aufenthaltsgesetz geregelt: (…) Ein Ausländer ist verpflichtet, seinen Pass, seinen Passersatz oder seinen Ausweisersatz (…) auf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden vorzulegen.“ Auf die Rückfrage, ob „seinen Pass“ sich eben auch auf digitale – in der Ukraine seit dem 23.8.2021 per Gesetzentwurf vollumfänglich gültige – internationale Ausweisdokumente beziehe, kam bis heute keine Antwort des Auswärtigen Amtes…
Die „polizeifachliche Sicht“ – klar ist nur, dass sie unklar ist
Eine aussagekräftigere Antwort gab es nun immerhin vom Bayerischen Staatsministerium für Digitales: Für die Anerkennung ausländischer Pässe und Passersatzpapiere sei das Bundesministerium des Innern und für Heimat zuständig.
Genauer betrachtet, sieht die Antwort wie folgt aus:
Lasse sich die Identität der betroffenen Person z. B. mittels eines digital gespeicherten Identitätsdokuments zweifelsfrei feststellen, so dürfte der Zweck der polizeilichen Maßnahme erfüllt sein. „Andererseits könnte es ggf. im konkreten Einzelfall (insbesondere in Zweifelsfällen) dennoch notwendig sein, das physische Dokument in Augenschein zu nehmen. Eine allgemeingültige Beantwortung Ihrer Fragestellung ist daher aus polizeifachlicher Sicht nicht möglich.“
Digitale Ausweisfunktion in Deutschland
Selbst Deutschen und Bürger(innen) der europäischen Union ist das digitale Ausweisen bereits faktisch möglich: „Der elektronische Identitätsnachweis in digitalen Antragsverfahren, auch über mobile Endgeräte, ist bereits seit längerem in Deutschland verfügbar: mittels Personalausweis mit eID-Funktion, elD-Karte für Unionsbürger(innen) oder elektronischem Aufenthaltstitel. Hierfür wird neben dem Mobilgerät einer der oben genannten Nachweise und eine entsprechende App benötigt, beispielsweise die Ausweisapp2.
Durch das Inkrafttreten des „Smart-eID-Gesetz“ sollten seit 01.09.2021 Bürger(innen) in Deutschland ihren Online-Ausweis direkt in ihren Smartphones speichern und sich ohne Ausweiskarte innerhalb weniger Sekunden sicher digital ausweisen können. Das ist praktischer und dauert nur etwa halb so lang wie der elektronische Identitätsnachweis mit der Ausweiskarte. (…) Zukünftig benötigen Bürgerinnen und Bürger dann für das digitale Ausweisen im Internet nur noch ihr Smartphone und die PIN für ihren Online-Ausweis.“
Dann allerdings kommt in der Mail aus dem Bayerischen Staatsministerium für Digitales die kleine, aber feine Einschränkung: „Ein elektronisches Speicher- und Verarbeitungsmedium in einem mobilen Endgerät muss die in den technischen Richtlinien des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik näher bestimmten Sicherheitsanforderungen erfüllen. Eine Verwendung eines elektronischen Identitätsnachweises mit einem mobilen Endgerät ist nur dann zulässig, wenn das im mobilen Endgerät verwendete elektronische Speicher- und Verarbeitungsmedium durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für diese Verwendung freigegeben wurde.“ Laut unseren Recherchen sind das ausschließlich die modernsten Samsung-Smartphones.
Das Projekt „Digitale Brieftasche“ hat in Deutschland ganz offenbar noch keine durchgreifenden Erfolge erzielt. „So wäre es mittels digitaler Brieftasche möglich, Ausweise, Alters- oder Impfnachweise europaweit zu nutzen“, beschreibt die funkschau den Traum des digitalen Ausweises auf dem Smartphone im Januar 2022. Leider kommt die Digitalisierung in Deutschland auch wegen Bedenken bezüglich „Datensicherheit“ nicht voran. „Digitale Identitäten“ rechtssicher auf das Handy oder den Computer zu bringen, war ein ambitioniertes Projekt der Bundesregierung. Das Ziel lautete, den digitalen Personalausweis, Führerschein und andere Ausweisdokumente digital anzubieten (…)“ schreibt das Handelsblatt im August 2022.
Im „Gesetz über Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis“ vom 18.06.2009 geht es im §10a um die Einrichtung des elektronischen Identitätsnachweises mit einem mobilen Endgerät. Alle Daten SIND im elektronischen Speicher- und Verarbeitungsmedium des Personalausweises bereits vorhanden, rund 44 Millionen Personalausweise, eID-Karten und elektronische Aufenthaltstitel mit der aktivierten eID-Funktion“ sind laut der funkschau im Umlauf.
Allerdings haben nur sechs Prozent der Inhaber die digitale Funktion je genutzt. Im August 2022, also gut 13 Jahre nach dem Gesetzesentwurf zu elektronischen Identitätsnachweisen, stand im Handelsblatt: „Der digitale Personalausweis, der allerdings nur auf den modernsten Samsung-Smartphones funktioniert hätte, war den Bürgern für Dezember vergangenen Jahres versprochen worden. Eingeführt wurde er allerdings immer noch nicht. Das Bundesinnenministerium (BMI) teilt auf Anfrage mit, die „Smart eID“ laufe bereits erfolgreich im Testbetrieb, das Datum des öffentlichen Starts stehe aber noch nicht fest.“
Das Bundeskabinett hat am 6. Juli 2022 das Eckpunktepapier "Digitalisierung vorantreiben – Planung und Genehmigung beschleunigen" beschlossen. Dazu Dr. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr: „Planungs- und Genehmigungsverfahren dauern in Deutschland zum Teil immer noch viele Jahre. (…) Wenn wir ein klimaneutrales, digitales und innovatives Deutschland wollen, können wir dies so nicht akzeptieren. Deshalb werden wir mit Hilfe der Digitalisierung Tempo machen und endlich Fortschritt erreichen.“